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[ Recycling ]

Rohstoff-Kreisverkehr

Beim Recycling am Bau sind die Spielräume noch lange nicht ausgereizt. Weit mehr Materialien und Stoffe könnten in den Kreislauf zurück, sagen Experten des Prinzips „Cradle to Cradle“.

Text Roland Stimpel

Wiederholt sich die Geschichte der knappen Energien bei den knappen Rohstoffen? Dann müssen sich Architekten eines Tages mit der ersten Rohstoff-Einsparverordnung RosEV herumschlagen, die dann immer wieder verschärft wird, bis hinter alle Grenzen der Wirtschaftlichkeit. Das Recycling-Design prägt dann das Erscheinungsbild von mehr und mehr Häusern, wie es heute die Wärmedämmung tut. Aber es führt kein Weg dran vorbei: Jeder Privatbauherr will die Sonderkredite der KfW für stoffeffiziente Häuser und ihre Zuschüsse für Rohstoff-Berater. Und das Größte für Investoren sind Gebäude-Zertifikate den Stufen „Kies“, „Sand“ und „Holz“. Architekten müssen immense Recycling-Mehrleistungen erbringen. Es dauert Jahre, bis sie sich endlich auch in der HOAI widerspiegeln.

All das klingt absurd, ist aber nicht ganz unwahrscheinlich. „Rohstoffknappheit steht zunehmend im Fokus“, sagt Peter Mösle, Partner von Drees & Sommer in Stuttgart, Deutschlands führendem Bauberatungsunternehmen am Bau. „Nach einer aktuellen Studie leiden schon 85 Prozent aller Unternehmen im Baugewerbe unter steigenden Rohstoffpreisen.“ Denn Bauen ist eine Materialschlacht, die für die Hälfte unseres gesamten Rohstoff-Verbrauchs verantwortlich ist und am Ende für fast 60 Prozent des Mülls. Für Drees & Sommer ist das aber kein Verzichts-Thema, sondern eines mit Chancen, erklärt Peter Mösle: „Die Baukosten können sinken und der Wert recyclingfähiger Gebäude steigt, weil sie gesünder, besser umzubauen und zur Not problemloser abzureißen sind. Das verursacht dann keine Kosten, sondern bringt sogar noch Geld, wenn die im Haus verbauten Rohstoffe zurückgewonnen und vermarktet werden können.“

Neuen Trends tut ein Schlagwort gut. Drees & Sommer will an seiner Schnittstelle zwischen Bauherren, Planern, Ausführern und Zulieferern das „Cradle to Cradle“-Prinzip umsetzen, zu deutsch: Von der Wiege zur Wiege. Schlichter gesagt, geht es um Kreislaufwirtschaft, in der auf lange Sicht nichts verloren geht. Benannt und verfeinert hat dieses Prinzip der Chemieprofessor Michael Braungart; ihn wiederum haben zwei Architekten inspiriert. Der erste war der Schweizer Walter Rudolf Stahel, der das Prinzip schon 1982 beschrieb. Stahel ist allerdings Theoretiker und Verkünder; gebaut hat er nichts in dieser Art. Der zweite Architekt ist Baumgarts amerikanischer Partner William McDonough. Auch er ist in Sachen Cradle to Cradle vor allem Theoretiker, Publizist und Berater, realisiert aber auch Bauten nach diesem Prinzip. Auch die Gütesiegel für Nachhaltiges Bauen verlangen das Recycling – allerdings nur als einen Punkt unter vielen.

Noch aber läuft der Mainstream in die Gegenrichtung – die große Masse aller Bauten ist alles andere als recyclingfähig. „Da wird so kurz gedacht wie beim Asbest in den 1970er-Jahren, sagt Peter Mösle. „Man nehme nur die Außenwand mit ihren WDVS-Systemen aus zwanzig verschiedenen Materialien, die praktisch nicht mehr voneinander zu trennen sind.“ Ausgerechnet dieser Drang zu mehr Energie-Effizienz löse kein Ressourcenproblem, sondern verschiebe es nur: Was wir heute beim Heizen sparen wollten, komme uns morgen beim Entsorgen und durch die Knappheit verbrauchter Stoffe doppelt teuer.

In Mösles Cradle-to-Cradle-Vision aber denkt jeder, der die einzelnen Komponenten von Bauteilen und ganzen Häusern zusammendenkt, auch gleichzeitig an ihre Demontage. Die Konstruktion wird ebenso intensiv vom Ende des Baus her geplant wie heute vom Anfang her. Das verschiebt die Prioritäten beim Materialien und Konstruktionsweisen. Beispielsweise werden Stahl und vor allem Holz interessanter als Beton; grundsätzlich geht Modul vor Monolith.

Ebenso stark könne Cradle to Cradle die Besitzverhältnisse am Haus verändern: Der Lieferant einer Komponente verkauft diese nicht an den Immobilieneigentümer, sondern überlässt sie ihm per Leasing für lange Zeit. Ist sie technisch oder funktionell verschlissen, lässt er sie herausnehmen und bekommt sie zurück. Der Rohstoff ist dann wahrscheinlich knapper und teurer als heute – und das Haus war für den Lieferanten eine Art Sparkasse, in der er einen Teil seines Rohstoffvermögens für lange Zeit angelegt hat.

Davor stehen aber wirtschaftliche und rechtliche Fragezeichen: Unternehmen müssten sich jahrzehntelang in eine ungewisse Zukunft hinein binden. Und wem gehört überhaupt noch das Haus; was dient der Bank als Sicherheit; wer ist für die Wartung verantwortlich? Wie verhindert man, dass ein Ex-Lieferant ein noch gebrauchsfähiges Haus um seine Ressource plündert, wenn sie auf dem Markt gut zu verwerten ist – zum Beispiel so gut wie heute das Kuper?

Mehr Erfolg als der rohstoff-spekulative Ansatz verspricht wohl der rein technische. Lang- und kurzlebige Bestandteile des Baus müssen leichter trennbar sein als bisher. Vom hundert Jahre haltbaren Rohbau muss sich die Fassade mit ihrer vielleicht 30 Jahren Lebensdauer gut ablösen lassen, in ihr wiederum müssen die Fenster problemlos austauschbar sein.

Einen ambitionierten, offenbar erfolgreichen Versuch mit Cradle to Cradle unternimmt der holländische Projektentwickler Delta Development mit seinen „2020“-Gewerbepark in Hoofddorp nahe Amsterdam. Hier überlässt Delta-Vorstandschef Coert Zachariasse das Stoffthema nicht Baufirmen und Architekten, sondern kontaktiert potenzielle Zulieferer direkt und fordert sie auf, ihren Angeboten auch Konzepte für die spätere Rücknahme ihrer Stoffe beizulegen. Zachariasse will aber mehr mit dem Zuckerbrot locken als mit der Peitsche drohen: Wer ihm ein Recycling-Angebot macht, bekommt von ihm 85 Prozent des heutigen Rohstoffpreises garantiert. Zachariasse sieht darin kein Risiko – über Jahre und Jahrzehnte steige der Preis bestimmt stärker, und den Gewinn gönnt er dem Lieferanten.

Der 2020-Gewerbepark ist kein Projekt für Öko-Firmen, sondern hat Nutzer wie Bosch Siemens Hausgeräte, den Reiseveranstalter Fox Vakantie und den Profifußballer-Verband Fifpro. Ihre Gebäude hat der Cradle-to-Cradle-Pionier William McDonough errichtet. Unternehmen, die bei Kunden, Aktionären und Beschäftigten ihre Verantwortungsbewusstsein darstellen wollen, präsentieren sich gern in solchen Bauten. Ihre Miete ist laut Coert Zachariasse doppelt so hoch wie in der Umgebung. Bei den Gebäuden setzt Delta auf Stahlgerüste sowie auf Ausstattungen und Bauteile, die einfach austauschbar und wiederverwendbar sind.

Teppiche zum Beispiel kommen vom Lieferanten Desso, der ankündigt hat: „Die gesamte Produktpalette soll bis 2020 nach den Cradle to Cradle-Prinzipien hergestellt werden.“ Gesünder sei das auch – wer auf chemisch komplexe Kunst- und Klebstoffe verzichtet, der erspart sich auch heikle, manchmal giftige Stoffe. Auch ganze Fassaden werden wiedergewonnen. Hier verspricht Winfrid Heusler, Vorstandschef von Schüco International: „Wir versuchen so viel wie möglich wiederzuverwerten. Dafür müssen Materialien trennbar sein, zum Beispiel Pfostenriegelfassaden mit leicht lösbaren Schraubverbindungen.“

Deutsche Architekten treten bisher kaum als Cradle-to-Cradle-Praktiker hervor. Bei ihnen dominiert eine andere Strategie, Rohstoffe zu sparen: Die Gebäude sollen technisch wie funktionell möglichst dauerhaft sein, so dass sich die Recycling-Frage für lange Zeit überhaupt nicht stellt. Und wenn Zeit der Ursprungsfunktion vorbei ist, dann soll Umnutzung möglich sein – also quasi das Recycling kompletter Gebäude, ohne dass es in seine Teile zerlegt werden muss.

Allerdings hält auch am bestgeplanten Haus nicht alles hundert Jahre. Das Auswechseln und Erneuern einzelner Teile und Komponenten wird aber noch längst nicht überall gleich beim Entwurf mitbedacht. Hier klafft eine Nachhaltigkeits-Lücke, für deren Überwindung noch viel zu tun wäre. Schon das wäre ein großer Schritt – auch wenn es von dort noch weit zum umfassenden Cradle to Cradle ist.


Mehr zum Thema von Drees & Sommer

http://www.dreso.com/de/im-fokus/cradle-to-cradle/

http://www.dreso.com/de/metanavi/presse/presseinformationen/detail/aktuell/immobilien-als-wertvolle-rohstofflager-experten-des-ersten-cradle-to-cradle-forums-fordern-umdenke/

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