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[ Köln-Chorweiler ]

Mal wieder Masse

Großsiedlungen sind wieder im Gespräch. Dabei sind die Probleme der vorigen Generation trotz aller Mühen nicht gelöst, wie das Beispiel Köln-Chorweiler zeigt

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Neue Chance: Die Satellitenstadt Köln-Chorweiler soll per Erweiterung neue Qualitäten gewinnen.

Text: Frank Maier-Solgk

Der Samstagsmarkt in Chorweiler liegt im zugigen Schatten von Hochhäusern und dem merkwürdig isolierten Kubus des aufgeständerten „City-Centers“. Von Gemüse über T-Shirts bis zu Handys ist alles im Angebot, das Publikum deutlich orientalisch geprägt. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund liegt hier, im Zentrum von Köln-Chorweiler, bei 75 Prozent, im Stadtteil insgesamt sind es rund 40 Prozent. Die sozial schwierige Lage vieler Bewohner, der schlechte Zustand eines Großteils der Wohnungen und ein teilweiser Leerstand in den Hochhäusern aus den 1970er-Jahren summieren sich zu einem Bild, für das sich Bezeichnungen wie „sozialer Brennpunkt“ und „Problemviertel“ eingebürgert haben. Politisch korrekt hieße es „Viertel mit hohem Entwicklungsbedarf“.

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Den Wettbewerb gewann das Dresdner Büro QuerfeldEins mit Hufeisen, Zeilen und einem lang gestreckten zentralen Platz.

Neuperlach, Märkisches Viertel, Marzahn, Neue Vahr, Kölnberg, Garath: Jede der großen Satellitenstädte aus den 1960er- und 1970er-Jahren in Deutschland ist anders strukturiert – und ein so ausgedehnter Stadtteil wie Chorweiler ist viel zu heterogen, als dass man alles über einen Kamm scheren könnte. Neben den düsteren Hochhaustürmen in der Mitte des Viertels wird das Bild im weiteren Umkreis kleinteiliger, haben sogar Gottfried Böhm und Oswald Mathias Ungers originelle Haus- und Siedlungsformen erprobt, die noch heute wie der entschiedene Gegenentwurf zur großformatigen Monotonie wirken, und gehen am Rande des Viertels die Wohnriegel in die rheinische Wiesenlandschaft über.

Der Wohntypus Großsiedlung gewinnt aktuell neues Interesse. Wie zur Entstehungszeit vor rund 50 Jahren besteht in den Ballungszentren Bedarf an günstigem Wohnraum. Die große und weiter wachsende Zahl der Flüchtlinge hat die Situation zusätzlich verschärft. In Berlin sollen inzwischen Angehörige der Mittelklasse – nicht ganz freiwillig – in die Großsiedlungen ziehen, wo sie die Hartz-IV-Strukturen auflockern. In Hamburg sollen demnächst für Flüchtlinge mehrere Siedlungen von rund 800 Wohneinheiten entstehen, was dem Typus Großsiedlung nahekommt. Und in Nordrhein-Westfalen sorgte das Bauministerium vor Kurzem für Aufsehen, da es in Abkehr zur bisherigen Praxis künftig auch hochgeschossige Gebäude im Sozialen Wohnungsbau fördern will. Die derzeitigen Begrenzungen auf vier- bis fünfgeschossige Gebäude seien zu streng, sagte Bauminister Michael Groschek (SPD).

Bieten die Großformate von einst Ansätze für Lösungen auch für die aktuelle Situation, wo dringender Handlungsbedarf besteht – oder sind Wohnkonzepte der großen Zahl grundsätzlich zum Scheitern verurteilt? Das ist nicht nur wegen des Neubau-Bedarfs eine wichtige Frage. Insgesamt zählt man in Deutschland rund 240 Großsiedlungen mit mehr als 1,5 Millionen Wohnungen: Im Extremfall Rostock wohnen 60 Prozent der Bürger darin. In Chorweiler unternehmen die Stadt und die Wohnungsbaugesellschaft GAG neue Anstrengungenm, die Siedlung zu verbessern. Nicht zum ersten Mal: Die Geschichte Chorweilers ist eine der ständigen Korrekturen, der Lernprozesse und der kontinuierlichen Aufwertungs-Versuche.

Hoch hinaus und heruntergekommen

Schon gut zehn Jahre, nachdem Ende 1972 die ersten Bewohner in die Hochhaustürme in der Mitte zogen – Vermieter war die „Neue Heimat“ –, galt der Stadtteil als gescheitert – unter dem Titel „Hoch hinaus und heruntergekommen“ beschrieb ihn damals die Hamburger „Zeit“. Die Grundübel sind bekannt: Das überdimensionierte Format und die einseitige Belegung – nichts hat so viel zur sozialen Entmischung und zur Konzentration Ärmerer beigetragen wie Großsiedlungen mit geförderten Sozialbauten. Zur sozialen Entmischung kam die funktionale: Es entstanden kaum Büros und Gewerbehallen. 1985 startete ein aufwendiges, mehrjähriges „Ergänzungsprogramm“ zur Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität, das vom Rückbau von überdimensionierten Straßen über Ergänzungsbebauungen bis zu sozialen Maßnahmen reichte. Vorgesehen waren unter anderem den Bau neuer Gewerberäume. Als Modellprojekt galt seinerzeit der Bau eines Handwerkshofs, in dem Beschäftigungs- und Qualifizierungskurse für Arbeitslose und eine Beratungsstelle von Pro Familia untergebracht wurden. Auch ein Jugendzentrum unter Beteiligung von Jugendlichen wurde errichtet und ein Ideenwettbewerb zur Neugestaltung des Zentrums durchgeführt. All das hat zur Stabilisierung des Viertels beigetragen, aber grundlegende Probleme wie die sozial einseitige Belegung und der Zustand der Hochhäuser im Zentrum sind ungelöst.

Nun also wird ein neuer Anlauf mit zwei Projekten unternommen, die in ihrer Ausrichtung exemplarisch sein können. Zum einen hat die Stadt Köln gemeinsam mit ihrer GAG Immobilien AG und der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen als Partner einen Wettbewerb ausgeschrieben, der eine Neubebauung nicht in der „problematischen“ Mitte, sondern am Rand des Stadtteils vorsieht. Auf 1,8 Hektar Fläche sollen 257 Wohnungen in viergeschossiger Bebauung entstehen.

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Das Einkaufszentrum repräsentiert den Brutalismus.

Der Siegerentwurf des Dresdner Büros Querfeld eins sieht eine traditionelle Zeilenbebauung vor, die sich zum Teil hufeisenförmig arrondiert. In den Höfen liegen Mietergärten der Erdgeschosswohnungen; auch Gemeinschaftsgärten und Kleinkinderspielplätze sollen entstehen. Hinzu kommt eine Wohngruppe für Pflegebedürftige; ein Fünftel aller Wohnungen ist für Flüchtlinge vorgesehen.

Ein sozial buntes neues Quartier

GAG-Vorstand Kathrin Möller will im Kontrast und als Ergänzung zur vorhandenen Bestandsbebauung das vorhandene Wohnungsangebot mit unterschiedlichen Wohnungsgrößen und zum Teil neuen Wohnungstypen erweitern. „Wir wollten ein buntes Quartier für unterschiedliche Schichten.“ Das architektonische Leitmotiv lautet entsprechend: „Man soll den städtebaulichen Figuren der Gebäude nicht ansehen, wofür sie in sozialer Hinsicht stehen.“ In jedem Fall profitiert die Gegend, in der die Siedlung gebaut wird, von den angrenzenden offenen Feldern. In der unmittelbaren Nachbarschaft liegt eine Waldorfschule sowie der gemeinnützige Kletter- und Hochseilgarten Canyon Chorweiler, der gerade sein zehnjähriges Jubiläum feiert. Er war als Integrationsmotor des Viertels gedacht, wird aber kaum von den Anwohnern genutzt, die meist aus Osteuropa und Russland stammen. Für viele von ihnen ist der Klettergarten zu teuer – auch wenn er nicht kommerziell ist.

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Alte Lasten: Die Wohntürme sind erschlagende Beispiele für das, was man zur Entstehungszeit Bauwirtschafts-Funktionalismus nannte.

Das andere Projekt ist kurzfristiger gedacht. Der Aufsichtsrat der GAG hat vor Kurzem dem Ankauf von 1.200 zwangsverwalteten Wohnungen in den zentralen Hochhäusern von Chorweiler zugestimmt. Ein erwogener Abriss kommt auf dem heutigen Wohnungsmarkt nicht mehr in Frage. Und eine umfassende Sanierung sei angesichts der Kosten und des Zustands nicht möglich, so Möller. Aber immerhin investiere man 35 Millionen Euro für die bisher unterbliebene und weitere 14 Millionen für die laufende Instandhaltung, so dass ein Werteschutz des bisherigen Wohnungsbestandes und ein geschütztes und einigermaßen solides Wohnen auch hier möglich sein werden. Die Stadt will zudem Geld für Instandsetzungen des Wohnumfelds am berüchtigten Liverpooler Platz und die dortige Freiraumgestaltung investieren. Langfristig aber – daran wird kein Weg vorbeiführen – braucht Chorweiler ein neues Gesamtkonzept. Man hofft auf Städtebauförderungsmittel des Bundes und der EU. Die Korrekturen früherer Fehler sind ein mühsames Geschäft.

Frank Maier-Solgk ist Publizist zu Architektur- und Kulturthemen in Düsseldorf.

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