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[ Architektur und Akustik ]

Raum für die Ohren

Akustik-Planerin mit Architektur-Erfahrung: Wie Annika Moll die Welt sieht und hört.

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Annika Moll: Sie sieht den Menschen im Mittelpunkt, nicht die Normen. So entstehen individuelle akustische Lösungen, die den Entwurf stärken.

Text: Heiko Haberle

Annika Moll leitet gemeinsam mit ihrer Mutter das älteste privatwirtschaftliche Planungsbüro für Akustik in Deutschland, das ihr Vater Wolfgang Moll 1955 gegründet hatte. Das Tätigkeitsfeld reicht vom privaten Dachausbau bis zum Schallschutz bei Flughäfen und enthält prominente Referenzen wie das Bundeskanzleramt, die Film- und Hörfunkstudios in Babelsberg oder die Münchner Sammlung Brandhorst. Die Leidenschaft für die Akustik kam bei der Tochter allerdings nicht von allein: Erst nach dem Architekturstudium und einigen Jahren Berufspraxis interessierte es sie immer mehr, was im Büro des Vaters genau passierte und wie das in Einklang mit ihrer Architekturausbildung und den damit verbundenen Gestaltungsansprüchen gebracht werden kann. Besonders die Raumakustik faszinierte sie – eben weil sie mit dem Raum und dem räumlichen Denken zu tun hat, so, wie es der Architekt auch einsetzt. „So wichtig wie der visuelle Eindruck eines Raumes sind auch seine akustischen Eigenschaften – für die Raumatmosphäre und für das Wohlbefinden der Nutzer“, so Moll. Die Architektur-Erfahrung erweist sich nun als ziemliches Alleinstellungsmerkmal, denn üblicherweise kommen Akustikplaner eher aus den Bereichen Bauingenieurwesen, Umwelttechnik oder Elektrotechnik und haben in diesen Studiengängen Schwerpunkte in Richtung Akustik ausgebildet.

Von ihrem Vater hat sie gelernt, vom Menschen her zu denken, nicht von Normen. „Wir analysieren die jeweilige Situation, schauen uns Haus und Nutzer genau an und überlegen dann erst, welche Regeln anzuwenden sind. Normen dürfen nicht das Denken ersetzen“, beschreibt Moll die Arbeitsweise ihres Büros. Fragen danach, was in einem Haus passieren soll und wie das Nebeneinander der Funktionen ist, stehen am Anfang einer Planung, an deren Ende dann nach schlüssiger Argumentation und Anwendung passender Regeln und Normen eine maßgeschneiderte Lösung steht. Doch Moll betont, dass man dazu Akustikplaner unbedingt schon bei der Vorplanung einbinden sollte. Wenn erstmal alle Grundrisse feststehen, lassen sich kaum noch Änderungen vornehmen, etwa an den konstruktiven Anschlüssen der Bauteile. Viel zu oft würden etwa immer noch Schlafzimmer neben dem Aufzug geplant, stellt Moll fest, die auch mit dem Vorurteil aufräumen möchte, Wohnungstrennwände sollten immer massiv sein. Heutzutage könne man diese ohne Einbußen bei der Akustik sehr wohl als Trockenbauwand herstellen und damit Kosten und Gewicht reduzieren.

Was kaum durch Regeln zu greifen ist, sind Raumatmosphären. So werde die Raumakustik in der Praxis noch etwas stiefmütterlich behandelt, wie Annika Moll findet, obwohl gerade diese bei den Architekturstudenten der TH Nürnberg, deren Entwürfe sie regelmäßig fachlich begleitet, auf viel Interesse stößt. Fortschritte beobachtet sie vor allem bei Schulen, die heute mit Ganztagesbetrieb und Inklusion neue Aufgaben übernehmen. Da braucht es Aufenthaltsbereiche für Kommunikation ebenso wie Ruhezonen mit entsprechenden akustischen Eigenschaften. Auch in den Büros tut sich einiges. Dass die Konzentration schwerfällt, weil 20 Meter entfernt jemand telefoniert, ist Alltag in Großraumbüros. Doch schlechte Erfahrungen wie diese scheinen endlich zu einem Umdenken zu führen.

Aber auch hier muss Moll noch gegen Vorurteile ankämpfen, etwa dass abgehängte Decken teuer und hässlich seien. „Es gibt nicht nur Lochplatten oder Supermarktdecken, sondern auch viele Materialien, die akustisch wirksam sind, aber nicht mit Akustik assoziiert werden.“ Selbst wenn geschlossene Akustikdecken wegen einer Bauteilaktivierung gar nicht möglich sind, bleiben noch Handlungsspielräume, sei es mit Deckensegeln oder einer guten Zonierung. Auch die Möblierung kann einen positiven Einfluss, etwa durch Sideboards mit perforierten oder stoffbespannten Fronten, auf die Raumakustik haben. Sie kann aber immer nur ein Zusatz sein, stellt Moll klar. Sie plädiert für einen Mittelweg: „Man darf auch nicht zu sehr dämpfen. Dann sinkt zwar der allgemeine Störgeräuschpegel, aber einzelne Gespräche in der Nähe werden klarer.“

Gerade bei Stoffen, aber auch bei Trockenbaumaterialien empfindet Moll den Markt derzeit als sehr innovativ und inspirierend für Materialkombinationen. „Sogar die berühmt-berüchtigte Sauerkrautplatte, die lange als Tiefgaragenisolierung verpönt war, setzen wir besonders in Kombination mit Sichtbeton wieder gerne ein, um den rauen Charakter eines Entwurfs zu betonen.“ Auch die Zweckentfremdung von Materialien und Bauteilen kann Sinn machen, wie beim Umbau des Berliner Marstalls für die Musikhochschule Hanns Eisler durch Anderhalten Architekten, die sich für die Ausstattung moderne und unkonventionelle Materialien und Formen wünschten. Für den großen und zwei kleine Konzertsäle sahen die Architekten herkömmliche Lichtkuppeln vor, die normalerweise als Oberlicht dienen. Um diese akustisch wirksam werden zu lassen, ließ das Büro Moll sie lochen und mit dämpfender Mineralwolle hinterlegen, sodass mittlere und hohe Frequenzen absorbiert werden können. Unperforierte Kuppeln dienen als Tiefenabsorber und reflektieren den Schall diffus. An der Decke wirken große Kunststoffkugeln als zusätzliche Reflektoren. In den Übungsräumen wurden als Schallschlucker mit Mineralwolle gefüllte Kissen aus perforierter Gummifolie an den Wänden angebracht.

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Beleuchtete Reflektoren über der Bühne: Konzertsaal der Universität der Künste Berlin.

Auch das Bauen im Bestand und die Auseinandersetzung mit dem Denkmalschutz sind für die Akustikplanung zum Thema geworden, das durchaus individuelle und kreative Lösungen zu befördern scheint, wie die Sanierung des Konzertsaals der Universität der Künste Berlin zeigt. Von 1952 bis 1954 durch Paul Baumgarten erbaut, war dieser erste Neubau eines Konzertsaals im Nachkriegs-Berlin einst Heimstätte der Philharmoniker. Da der Saal heute nicht mehr nur für klassische Konzerte genutzt wird, sondern auch als Übungsbühne der Universität, für Tonaufnahmen und für externe Veranstaltungen, war im Rahmen einer Gebäudesanierung auch eine Optimierung der Akustik erforderlich. Die vormals komplett gepolsterte und schallschluckende Bestuhlung wurde durch Sitze mit hölzerner Rückseite ersetzt, die zudem weniger eng angeordnet wurden, wodurch etwa 100 Plätze entfielen. Um das Mithören der Musiker untereinander zu verbessern, wurden über der Bühne 13 kreisrunde Reflektoren von je 2,5 Meter Durchmesser installiert, die zugleich eine LED-Beleuchtung enthalten. Ihre Anordnung bezieht sich auf ein Motiv, das im Foyer des Konzertsaals als Gruppe von Bullaugen zu finden ist. Die Seitenwände des Saals sind im oberen Bereich mit einer Abfolge aus unterschiedlich geknickten Lamellen versehen, die in ihrer Anordnung an Fischgräten erinnern. Sie zeichnen keinen gleichmäßigen, sondern einen bewusst unregelmäßigen Verlauf nach, um den Schall diffus im Oberrang zu verteilen. Das hilft, um Flatterechos zu vermeiden, die besonders bei Tonaufnahmen stören.

Der ungeliebte Fall, dass Akustikplaner nachträglich einen Entwurf korrigieren sollen, trat am Potsdamer Hans-Otto-Theater ein. Mit seiner sakralen Architektur habe Gottfried Böhm sich offensichtlich gegen seine Akustiker durchgesetzt, wie Annika Moll es einschätzt. Für klassische Konzerte oder Opern mochte der Raum geeignet sein, nicht jedoch für ein Theater. Die Schauspieler, die sich auf der Bühne untereinander nicht verstanden, Publikum und Medien bemängelten die Akustik des Hauses schon kurz nach der Eröffnung. Das Büro Moll, das mit der Rettung der Akustik beauftragt wurde, ließ zunächst Scheinwerfer umgruppieren, die den Schall bereits streuten, bevor er von einem dafür vorgesehenen Deckensegel reflektiert werden konnte. Kombinationen aus Sperrholz- und Gipsplatten filtern nun an den Seitenwänden als Tiefenabsorber besonders tiefe Frequenzen aus dem Klangbild. Hinter und neben dem Zuschauerbereich wurden Akustikspiegel aus beschichtetem Aluminiumblech angebracht und eine Glaswand im Rücken der Zuschauer ist mit einem dicken Samt-Vorhang ausgestattet.

Doch nicht nur bei der Raumakustik von Schulen, Büros oder Konzertsälen sind Akustikplaner gefragt, auch im städtebaulichen Maßstab werden sie wichtiger. Mit der Verdichtung der Städte entstehen Wohnungen an Standorten, die als unzumutbar wegen Verkehrslärms galten. Darauf kann mit der Gebäudeform ebenso wie mit der Anordnung der Räume reagiert werden. So sind Akustiker immer öfter an städtebaulichen Wettbewerben beteiligt, um die Stellung von Baukörpern gegenüber Verkehrswegen zu untersuchen oder Gebäudeformen zu optimieren, damit diese sich selbst oder rückwärtige Grundstücksteile abschirmen, wie Moll erklärt und dann hinzufügt: „Die Akustikplanung muss auch an schwierigen Orten das Bauen möglich machen, statt es zu verhindern.“

Erschwert werde das aber durch einen gewissen „Regelwahn“. So erscheinen zusätzlich zu den DIN-Normen immer neue Papiere von verschiedenen interessierten Verbänden und Vereinigungen mit teilweise sich widersprechenden Werten und Empfehlungen für einen erhöhten Schallschutz. Das habe zur Folge, dass viele Akustik-Ingenieure selber verunsichert und untereinander uneinig seien, berichtet Moll. Statt an einem Strang zu ziehen, sei die Position der Planer geschwächt, was dann wiederum Juristen auf den Plan rufe. Zwar stellt sie durchaus einen Mangel an Flexibilität fest, Normen im Sinne von Mindestanforderungen sieht Moll aber nicht generell kritisch. „Da unser Büro schon lange als aktives Mitglied in den Normungsausschüssen sitzt, versuchen wir notwendige Änderungen selber herbeizuführen. Wir wissen also, unter welchen Bedingungen und mit welchem Ziel bestimmte Anforderungen entstanden sind, und können abschätzen, wo es Spielräume gibt. Normen sind schließlich keine bindenden Gesetze.“ Aber für einen kreativen Umgang mit Regeln braucht es auch ein Gegenüber in den Bauämtern. Dort herrsche gerade auf Spezialgebieten wie der Akustik zwangsläufig weniger Fachwissen, weil man sich mit unterschiedlichsten Fragestellungen gleichzeitig befasse. Es bestehe die Sorge, von Gewohnheiten abzuweichen und sich womöglich strafbar zu machen, wie Moll feststellt.

Schallschutz kein Kostentreiber

„Was wir jedenfalls nicht brauchen, sind noch mehr Normen. Aber die Ansprüche generell herunterzuschrauben, kann nicht die Lösung sein. Gerade im Wohnungsbau dienen die Normen ganz eindeutig dem Gesundheitsschutz. Auch den Vorwurf, der Schallschutz sei ein Kostentreiber, halte ich für grundfalsch.“ Das geschehe höchstens, wenn an veralteten Normen festgehalten werde oder nur vereinfachte Verfahren angewandt würden. Mit üblichen Berechnungstabellen könne jeder Statiker und Architekt einen Schallschutznachweis erstellen, womit sich die Akustik-Ingenieure sicher keinen Gefallen getan hätten. Das Ergebnis seien dann oft übermäßig starke Wände, die natürlich Mehrkosten verursachen. Auch in vorauseilendem Gehorsam den Lärmschutz gegenüber der Außenwelt lieber mal etwas höher anzusetzen, um auf der sicheren Seite zu sein, hält Moll für kontraproduktiv, weil man dann Geräusche innerhalb des Hauses als störend empfinde, die man sonst gar nicht wahrgenommen hätte. „Manchmal ist es eben angebracht, gerade nicht die einfachen Standardverfahren anzuwenden, um ein Gleichgewicht zwischen Nutzerinteressen und tatsächlichen Anforderungen herzustellen. Individuelle Lösungen finden, die womöglich sogar Kosten reduzieren, das können nur professionelle Akustikplaner.“

Zusätzliche Artikel zum Thema Schallschutz gibt es hier.

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