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[ Stadtklima ]

„Vielfalt auf engem Raum“

Stadtklimatologe Dieter Scherer plädiert für eine Vielzahl kleiner und abwechslungsreicher Freiflächen. Von unbebauten Groß-Arealen in der Stadt und von kilometerlangen Frischluftschneisen hält er weniger

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Tempelhofer Feld in Berlin: nett für die Freizeit – nutzlos fürs Stadtklima.

Interview: Roland Stimpel

Licht, Luft und Sonne hieß das große Städtebau-Motto des 20. Jahrhunderts. Geht es heute stattdessen um Schatten, Wind und Kühle?

Das wäre viel zu einfach. Man kann nicht ingenieurmäßig das Stadtklima auf allgemeine Wunschziele oder irgendwelche für optimal erklärte Werte einstellen. Für städtische Lebensqualität brauchen wir vielmehr ein Klima der Vielfalt auf kurzer Distanz. Es sollten in maximal 150 Meter Distanz zu jedem Ort möglichst viele mikroklimatische Unterschiede erlebt werden können: Sonnenstrahlen und Schatten, frischer Wind und Stille. Menschen haben wechselnde Ansprüche, je nach Situation, Tages- und Jahreszeit. Nur Extreme bei Hitze, Kälte und Wind sollten vermieden werden.

Viel Klima auf 150 Metern Raum – das klingt ziemlich luxuriös.

Das ist das unmittelbare, rasch zu Fuß erreichbare Wohn- und Arbeitsumfeld. Im Sommer können 500 Meter bis zum nächsten schattigen Grün für ältere oder kranke Menschen viel zu weit sein.

Ziehen Sie eine bestimmte Städtebauform vor – zum Beispiel Zeilen mit Abstandsgrün oder kompakte Blöcke mit kleinen Parks ­dazwischen?

Es gibt architektonisch und planerisch viele Gestaltungsmöglichkeiten, aber kein Patentrezept. Keine Bauform ist per se gut oder schlecht.

Im Fokus der Diskussion stehen oft die großen Freiflächen – und die Frischluftschneisen, die von hier in dicht bebaute Gebiete führen.

In großen Parks kann es in der Tat vor allem in warmen Sommernächten spürbar kühler sein. Aber die Wirkung davon auf die umgebende Stadt, also die Reichweite der Abkühlung, wird oft überschätzt. Selbst bei den größten Flächen lässt sich die kühlende Wirkung oft nicht einmal 200 Meter weit in die Stadt hinein nachweisen.

Weil die Schneisen fehlen?

Auch Schneisen wirken nur auf kürzere Distanz. Abkühlung geschieht nicht vom Umland bis in das Zentrum einer großen Stadt – nicht einmal, wenn es vor der Stadt zehn Grad kälter ist als in ihrem Kern. Die entscheidenden Luftbewegungen geschehen auf viel kürzerer Distanz.

In Auseinandersetzungen um städtische Groß­flächen wie dem Tempelhofer Feld in Berlin oder um die heutigen Gleisflächen des Projekts Stuttgart 21 argumentieren Gegner aber nicht zuletzt mit dem Stadtklima.

Ich finde es äußerst unglücklich, wenn Großflächen mit sehr begrenzter Wirkung für die Stadt unbebaut bleiben und dadurch zugleich der Bebauungsdruck auf kleinere Grünflächen steigt, die in ihrer Summe viel wichtiger für ein gutes Klima sind. In Berlin zum Beispiel wäre es viel günstiger, die Ränder des Tempelhofer Feldes klimagerecht zu bebauen und stattdessen in dichten Stadtvierteln kleinere Grüngebiete wie Brachflächen oder Gartenkolonien als dezentrale Netzwerke zu erhalten. Es geschieht jedoch das Gegenteil. Man erhält Großflächen, die schlechter erreichbar sind und an heißen Sommertagen kaum zum Aufenthalt taugen, weil Bäume und Schatten fehlen.

Sollten und können wir alle Stadt-Bestandteile in Grün einbetten?

Theoretisch können wir natürlich die negativen Folgen des Stadtklimas am wirkungsvollsten vermeiden, wenn wir die ganze Stadt beseitigen. Praktisch wollen wir aber urbane Vielfalt auf engem Raum und kurze Wege, also hohe Bebauungsdichte. Es gibt kein urbanistisch-klimatologisches Patentrezept.

Wie geschieht der kleinteilige Luftaustausch?

Da gibt es viele Formen: Er kann horizontal geschehen, aber auch vertikal. Selbst in die Innenhöfe vollständig umbauter Blocks kann kühlende Luft aus der Umgebung gelangen.

Über den oft beschriebenen Kamin-Effekt?

Auch dieses Modell ist zu simpel. Man sieht immer mal Zeichnungen, auf denen eine ganze Stadt schematisch als Aufwind produzierendes System dargestellt wird. Aber das ist völlig falsch; die Luftbewegungen sind auch hier viel komplexer und von großer Bedeutung. Besonders die Luftschichten zwischen 100 und 2.000 Metern Höhe sind für die Stadt als Ganzes extrem wichtig. Viele, die sich mit Stadtklima beschäftigen, pflegen heute aber noch eine Ameisenperspektive und betrachten nur das Klima in Bodennähe.

Versiegelte Flächen sind sicher nicht förderlich. Aber auch Grün ist nicht gleich Grün. Eine Fläche muss schon einen Hektar groß sein, damit sie nicht nur selbst Kühle bietet, sondern auch auf die umgebende Bebauung wirken kann. Und eine von Bäumen beschattete Fläche bietet viel mehr als ein offener Rasen. Schließlich bringt es gar keine Abkühlung, wenn ein Rasen oder ein Grasdach im Sommer völlig trocken ist. Dann kann es dort so heiß sein wie in der versiegelten Umgebung.

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Stadtklimatologe Dieter Scherer.

Wie beurteilen Sie Hochhäuser?

Hochhäuser ragen in Bereiche, in denen die Luftbewegungen stärker sind als am Boden. Sie können dafür sorgen, dass Luftmassen aus größerer Höhe in Bodennähe gelangen und damit die Durchlüftung fördern. Je nachdem, wie ein Hochhaus steht und gerahmt ist, können aber auch unschöne Düseneffekte auftreten, die bei starkem Wind im Extremfall Radfahrer aus dem Sattel heben. Viele Wirkungen müssen aber noch erforscht werden. Es sollte bald Standard werden, Hochhausprojekte im Vorhinein auf diese Wirkungen zu untersuchen. Im Verhältnis zur Gesamtinvestition fiele der Aufwand nicht ins Gewicht.

Gibt es Regeln und Formeln für niedrigere Baustrukturen?

Weniger für einzelne Gebäude als für ganze Straßenräume. In ihnen spielt das Verhältnis der Gebäudehöhe zur Straßenbreite eine bedeutende Rolle. Je schluchtartiger der Straßenraum ist, desto schwächer wird er durchlüftet und desto mehr drohen hohe Konzentrationen von Schadstoffen. Und ein Satteldach kann ganz andere Wirkungen entfalten als ein flaches Dach mit 90-Grad-Kante. Ein gewisser Wechsel der Gebäudehöhen und -formen kann gut tun, weil er zu einer unterschiedlichen Rauigkeit gegenüber Luftströmungen führt.

Wie gut sind Einfamilienhaus-Gebiete? Hier ist es schließlich am grünsten.

Viele einzelne Rasenflächen ergeben noch keine zusammenhängende Fläche. Durch den hohen Flächenbedarf rutscht das Umland immer weiter weg, und in den Städten wird immer mehr Fläche für den Verkehr versiegelt.

A propos Verkehr: Welche Rolle für die Erwärmung spielen Autos, Lüftungsaggregate und andere Geräte?

Der Strahlungsgewinn durch die Sonne beträgt im Sommer häufig 500 bis 600 Watt pro Quadratmeter, die Abwärme vielleicht 20 bis 30 Watt pro Quadratmeter. Sie kann sich aber lokal konzentrieren, vor allem in engen Straßen. Aber viel problematischer finde ich am Verkehr, dass man an verlärmten und schadstoffbelasteten Straßen nachts das Fenster nicht öffnen kann, um die Kühle einzulassen.

Hilft mehr künstliche Kühlung?

Grundsätzlich nötig ist das für Gebäude mit wenig belastbaren Personen, also zum Beispiel für Altenheime und Krankenhäuser. Eine Klimatisierung aller Häuser finde ich nicht sinnvoll, da das viel Energie verbrauchen und das Klimaproblem global verschärfen würde. Man sollte nicht lokale und globale Klimaprobleme gegeneinander ausspielen, also weder das individuelle Problem mit schädlichen Mitteln lösen noch mit der Berufung auf Klimaschutz eine Verdichtung propagieren, die energetisch effizient ist, aber für Menschen nicht mehr gesund.

Das Stadtklima ist nicht nur im Sommer ein Problem. Die Sterberate ist im Winter viel höher. Bedeuten nicht wärmere Städte für viele Menschen unterm Strich ein gesünderes und längeres Leben?

Erstens wird der Klimawandel wahrscheinlich zu mehr Hitzetagen im Sommer führen, aber weiterhin auch kalte Wetterlagen im Winter ermöglichen. Zweitens ist die Ursache für den Anstieg der Sterberate im Winter auch nicht unmittelbar die Kälte, sondern es ist die Zunahme von Infektionskrankheiten. Der Monat mit der höchsten Sterblichkeit ist der März, der aber bekanntlich nicht der kälteste Monat ist. Temperaturen wie heute im März werden auch in Zukunft in Deutschland häufig auftreten, so dass sich infolge des Klimawandels nichts Grundlegendes an der Wintersterblichkeit ändern wird. Drittens und vor allem verzeichnen wir einen deutlichen Anstieg der Sterberaten in sehr heißen Zeiten. Denn unsere Gebäude sind bisher gegen Kälte viel besser geschützt als gegen Hitze.

Jeder Neubau sollte eine wirksame Außenverschattung bekommen. Dies ist inzwischen gut geregelt. Im Bestand kann es aber ähnliche Probleme geben wie bei der Außendämmung: Nicht jeder kann sie sich leisten, und das Erscheinungsbild des Hauses kann leiden und Konflikte mit dem Denkmalschutz auslösen. Schatten und Feuchtigkeit spendende Bäume. Wobei auch diese in engen Straßen die Durchlüftung hemmen können.

Was man auch tut, kann falsch sein?

Kein Grund zur Verzweiflung! Es zeichnet doch gute Architekten aus, dass sie für jeden Ort eine passende Lösung finden. Darum geht es auch beim Klima verbessernden Planen und Bauen.

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