Text: Holger Pauly
Immer wieder akzeptieren Architekten bei Vertragsabschluss zunächst ein Honorar unterhalb des HOAI-Mindestsatzes, verlangen aber später in ihrer Schlussrechnung diesen Satz unter Berufung auf die Honorarordnung. Dieses Vorgehen hat jetzt der Bundesgerichtshof erschwert: Er stellt ausdrücklich klar, dass auch ein fachkundiger Auftraggeber, der das Preisrecht kennt, auf eine Honorarvereinbarung unterhalb der Mindestsätze vertrauen kann (BGH 27.10.2011, VII ZR 163/10). Dies komme vor allem dann in Betracht, wenn der Auftraggeber mit vertretbarer Argumentation nachweisen könne, er habe die Mindestsatz-Unterschreitung nicht zwingend bemerken müssen – etwa weil er fälschlicherweise angenommen habe, es seien nicht alle Teilleistungen aus einem Leistungsbild zu erbringen.
Diese Entscheidung macht es Architekten schwerer, nachträglich auf Grundlage des (höheren) Mindestsatzes abzurechnen. Sie müssen folglich vermehrt befürchten, auf ihrer ursprünglichen Honorarvereinbarung unterhalb des Mindestsatzes sitzen zu bleiben. Letzteres widerspricht eigentlich der Zielrichtung der HOAI. In § 7 III HOAI 2009 heißt es hierzu zwar: „Die in dieser Verordnung festgesetzten Mindestsätze können durch schriftliche Vereinbarung in Ausnahmefällen unterschritten werden.“ Wichtig sind die Worte „in Ausnahmefällen“. Sie bedeuten im Umkehrschluss, dass dem Architekten nach dem Grundverständnis der HOAI im Regelfall das nach dem Mindestsatz zu errechnende Honorar zusteht.
Wann liegt nun ein Ausnahmefall vor? In der HOAI wird dieser Begriff nicht näher erläutert. Aus ihrer Historie ergibt sich, dass bei ihrer Einführung sowohl der federführende Raumordnungsausschuss des Bundestages als auch das Plenum als Ausnahmefall nur Verwandtschaft oder außergewöhnlich geringen Aufwand ansahen, aber schon nicht mehr Bauaufgaben sozialer oder kirchlicher Einrichtungen. Später nahmen Gerichte die Regelungslücken der HOAI zum Anlass, weitere Ausnahmefälle anzuerkennen. Dazu gehörten laut Rechtsprechung unter Umständen auch persönliche oder engere Beziehungen der Vertragspartner, beispielsweise in einer ständigen Geschäftsbeziehung wie einem Rahmenvertrag. Entscheidend ist stets, ob das Vertragsverhältnis durch diese Beziehungen rechtlicher, wirtschaftlicher, sozialer oder persönlicher Art entscheidend geprägt ist.
Die Gerichte haben hierzu in der Vergangenheit leider nicht immer nach einheitlichen Kriterien entschieden. Die eingangs erwähnte Entscheidung des BGH hat nunmehr jedoch klargestellt, dass der Ausnahmefall „enge wirtschaftliche Beziehungen“ nicht schon dann besteht, wenn ein Ingenieur als Nachunternehmer über längere Zeit eine Vielzahl von Aufträgen zu einem unter dem Mindestsatz liegenden Pauschalhonorar ausführt. Im jetzt entschiedenen Fall war das 17-mal geschehen.
Zum Thema „Vertrauensschutz zugunsten des Auftraggebers“ haben die Gerichte durch weitere Urteile für ein Mehr an Rechtssicherheit gesorgt. Folgende Fallgruppen sind hier entwickelt worden:
Vorwerfbare arglistige Täuschung des Architekten: Gerichte haben mehrfach klargestellt, dass sich nach einer arglistigen Täuschung des Architekten dessen Auftraggeber unter Umständen auf „unzulässige Rechtsausübung“ berufen kann. Das setzt aber hohe Anforderungen an die Führung des Nachweises. Zunächst muss der Auftraggeber nachweisen, dass bei ordnungsgemäßer Honoraraufklärung ein anderer Auftragnehmer beauftragt worden wäre, der diese Leistungen endgültig zu einem Honorar unterhalb der Mindestsätze erbracht hätte. Außerdem muss er nachweisen, dass ein Ausnahmefall nach den oben genannten Maßstäben vorliegt. Kann er dies nicht nachweisen, hat er keinen nachvollziehbaren Schaden erlitten, so dass die vorwerfbare arglistige Täuschung des Architekten letztlich preisrechtlich folgenlos bleibt.
Besondere Fachkunde des Auftraggebers: Bislang haben die Gerichte im Falle besonderer Fachkenntnis des Auftraggebers einen Vertrauensschutz zu seinen Gunsten für ausgeschlossen gehalten. Dass der quasi bewusst das Preisrecht brechende Auftraggeber nicht schutzwürdig ist, ist sicher ohne Weiteres einsichtig. Als Maßstab für die Fachkunde wird der Organisationsgrad des Auftraggebers eine große Rolle spielen. Kleinere Bauträger verfügen regelmäßig über eine geringe Fachkompetenz, anders als größere mit eigener Planungs- und Rechtsabteilung. Bei öffentlichen Auftraggebern kann die Kenntnis über den Mindestpreis-Charakter der HOAI demgegenüber ohne Einschränkung unterstellt werden.
Wiederholte HOAI-Mindestsatz-Unterschreitung: Der BGH stellt mit seiner jetzigen Entscheidung weiterhin klar, dass ein Vertrauensschutz zu gunsten des Auftraggebers insbesondere auch dann in Betracht kommt, wenn dieser mit dem Architekten nicht nur einen einzigen Vertrag mit Preisen unterhalb der Mindestsätze abgeschlossen hat, sondern in einer ständigen Geschäftsbeziehung eine Vielzahl davon. Hier müsse dem Planer auffallen, dass sich der Auftraggeber auf die Verabredung eines Pauschalhonorars verlässt – auch wenn dies nach der HOAI zu niedrig liegt.
Kein Recht auf Nachforderung: Frühere Urteile
Der BGH hat in einer Grundsatzentscheidung 1997 (BGH v. 22.5.1997 – ZR 290/95) klargestellt, dass ein Architekt kein Recht zur Nachforderung hat, wenn folgende Voraussetzungen sämtlich erfüllt sind:
– Bei Berücksichtigung aller Umstände stellt sich das Verhalten des Architekten als widersprüchlich dar.
– Der Auftraggeber hat tatsächlich auf die Wirksamkeit der die Mindestsätze unterschreitenden Honorarvereinbarung vertraut.
– Dieses Vertrauen ist auch schutzwürdig, das heißt der Auftraggeber hat sich finanziell auf die Wirksamkeit der Honorarvereinbarung eingestellt.
– Dem Auftraggeber kann die Zahlung auf Basis der Honorarvereinbarung und der Mindestsätze nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden.
In einer späteren Entscheidung vom 23. Oktober 2008 (BGH v. 23.10.2008 – VII ZR 105/07) schränkte der BGH das letztgenannte Kriterium der Zumutbarkeit nochmals ein. Danach ist dem Bauherrn die Nachzahlung nur dann nicht zuzumuten, wenn die dadurch entstehende zusätzliche Belastung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles für diesen eine besondere Härte bedeuten würde. Neu an dem jüngsten Urteil ist, dass auch fachkundige Auftraggeber unter Umständen ein schutzwürdiges Vertrauen in die Abrechnung des Architekten entwickeln und sich deshalb gegen eine Nachforderung wehren können.
Honorar-Begehren nach der Schlussrechnung
Von Bedeutung ist auch, in welchem Stadium ein Architekt ein höheres Honorar fordert als das vereinbarte unter dem Mindestsatz. Stellt er zunächst eine Schlussrechnung mit dem vereinbarten Honorar und fordert es später nach, dann nehmen möglicherweise die Gerichte unter Berufung auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Bindung des Architekten an seine Schlussrechnung an. Danach kann er unter bestimmten Umständen daran gehindert sein, nach Erteilung seiner Honorarschlussrechnung Berechnungsparameter zu ändern oder aber Nachforderungen zu stellen. Im Ergebnis können Architekten somit auch aus diesem Grund an ihre die HOAI unterschreitende Honorarabrechnung gebunden bleiben. Auch Nachforderungen, die bereits in der Schlussrechnung gestellt werden, sind stets am Maßstab von Treu und Glauben zu überprüfen. Allerdings legten die Gerichte diesen Maßstab bisher eher zu Gunsten der Architekten an. Insbesondere muss der Auftraggeber schutzwürdiges Vertrauen entwickelt und sich auf die preisunterschreitende Vereinbarung auch finanziell eingerichtet haben. HOAI-kundige Auftraggeber haben diese Voraussetzungen bislang praktisch nie erfüllen können. Nunmehr können auch sie nach der – problematischen – Auffassung des BGH unter gewissen Voraussetzungen schutzwürdiges Vertrauen entwickeln. Ähnliches gilt im Übrigen im Falle wiederholter Mindestsatz-Unterschreitungen.
Architekten sind gut beraten, sich auf diese Rechtslage einzustellen. Der Abschluss von Vereinbarungen unterhalb des Mindestsatzes stellt ohnehin ein unfaires Wettbewerbsverhalten gegenüber Kollegen dar, die sich an diese Sätze halten.
Holger Pauly ist Rechtsanwalt in Saarbrücken.
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